Fassaden, Portale und Kapitelle im Poitou und in der Saintonge (Frankreich)


Die (ehemalige) Abteikirche St-Jouin-de-Marne


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St-Jouin-de-Marne
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St-Jouin-de-Marne
In dem kleinen poitevinischen Ort (ca. 600 Einwohner) befindet sich einer der bedeutendsten romanischen Kirchenbauten der Region: die ehemalige Abteikirche des wahrscheinlich zweitältesten Klosters Frankreichs.
Im vierten Jahrhundert (um 342) soll sich der heilige Jovinus mit seinen Anhängern an dem damals Ension genannten Ort niedergelassen haben, später entstand an dieser Stelle ein Kloster und der Name St-Jouin ging auf den Ort und die Abtei über. Die günstige Lage in Bezug zur "Via Turonensis", eine der wichtigen Teilstrecken des Jakobsweges, und die Ausstellung von Reliquien (u. a. die Gebeine des hl. Jovinus) führten zu schnell wachsenden Besucherzahlen, die eine größere Kirche notwendig machten.
  
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St-Jouin-de-Marne
Mit der Grundsteinlegung 1095 begannen die Bauarbeiten an der jetzigen Kirche, die im Wesentlichen 1130 abgeschlossen wurden. Doch Bauarbeiten sind nie zu Ende: es gab neue Gewölbe, diverse Reparaturarbeiten wurden im Laufe der Zeit erforderlich und mehrere Strebepfeiler mussten außen angebaut werden (vor allem im Süden und im Chorbereich), um den drohenden Einsturz zu verhindern. Im Hundertjährigen Krieg wurden die Befestigungsanlagen der Abtei ausgebaut, auch die Kirche wurde mit einbezogen und wehrtechnisch ertüchtigt. Der Wehrgang mit seinen Pechnasen über dem Südquerhaus ist bis heute vorhanden.

Portal und Fassade

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St-Jouin-de-Marne, Portalzone
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St-Jouin-de-Marne, Westfassade
Diese Art der typischen Gestaltung einer Westfassade begegnet uns im Poitou öfter: die Westfassade von St-Jouin-de-Marne ist jeweils dreifach vertikal und horizontal geteilt und wird als Schauseite  aufwändig geschmückt.
Im Erdgeschoss finden wir zentral das Hauptportal mit fünf halbkreisförmigen Archivolten (Bögen). Die Seitenportale links und rechts waren ursprünglich Scheinportale, die Türöffnungen heute wurden erst später angelegt.

Das Hauptportal

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Hauptportal
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Seitenwange des Hauptportals
Die Stufen und Archivolten des Hauptportals ragen weit in den Außenraum vor, so dass an den Seiten zwei Wandflächen entstehen, in denen sich (außen) sogar schmale Scheinportale befinden. Kräftige Dreiviertelsäulen schließen diese Seitenwangen ab.
An die Mauerschräge über dem Portal schloss sich früher ein Vordach an.
Vier der fünf Archivoltenbögen des Hauptportals stehen auf schlanken Säulen. Die Kapitelle der Säulen und der skulpturale Schmuck der Bögen ist zum Teil stark verwittert, andere sind restauriert oder ersetzt, so lassen sich die floralen Ornamente und bärtigen Masken gut erkennen.

St-Jouin-de-Marne, Gewände und Archivolten des Hauptportals
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Linkes und rechtes Seitenportal, Kapitelle


St-Jouin-de-Marne: linkes Seitenportal
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Kapitell und rechtes Seitenportal
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Treten wir jetzt durch das Hauptportal und schauen uns den Innenraum an:

St-Jouin-de-Marne: Kapitelle im Innenraum


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Langhaus nach Osten
Das Langhaus von St-Jouin-de-Marne ist wie bei anderen Kirchen im Poitou eine dreischiffige Halle (mit schmaleren Seitenschiffen). An das einschiffige Querhaus schließt sich im Osten der Chor mit Umgang und drei Radialkapellen an. Die ersten beiden Joche des Langhauses sind tonnengewölbt und mit kräftigen Gurtbögen vesehen, dahinter überspannt ein Kreuzrippengewölbe den Raum.

Im Innern von St-Jouin-de-Marne
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Die Kapitelle im Innern der ehemaligen Abteikirche Saint-Jouin-de-Marne zeigen den typischen romanischen Formenschatz: Löwen, Vögel, einen Zentauren, der seinen Bogen auf den um die Ecke kommenden Löwen anlegt, menschliche Figuren zwischen Pflanzenstengeln, florale Ornamente.

Kapitelle


Die Ecken der quadratischen Platten der Säulenbasen sind verziert:
Eckzier an der Säulenbasis
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Einige Kapitelle sind hervorragend restauriert:


Bevor wir uns jetzt die Fassade noch einmal anschauen, werfen wir noch einen Blick auf die Ostpartie:

Ansichten von Osten
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Unter dem Dachansatz befinden sich mit Figuren und Masken verzierte Konsolen:

Konsolen im Chorbereich
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Der Fassadenschmuck

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Maria lässt die Spindel fallen
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Westfassade
An dieser Stelle soll Thomas Droste (1) zitiert werden, der zur "monumentalen Schauwand" der Fassade Folgendes schreibt: "Zu beiden Seiten des Mittelfensters und über den begleitenden Seitenfenstern sind Reliefs mit Heiligenstatuen angebracht. Drei Gestalten - Jovinus, Johannes und Paulus - sind Neuschöpfungen des 19. Jahrhunderts, alles andere ist Originalbestand des 12. Jahrhunderts. Ungewöhnlich ist die Verkündigung Mariens. Maria, die gerade mit dem Spinnen beschäftigt ist, lässt erschreckt den Spinnrocken fallen. Diese seltene Ikonographie stammt aus dem syrischen Bilderkreis."

Heilige und Verkündigung
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Verkündigung, Samson u. a.
Thorsten Droste weiter: "Über den gekuppelten Diensten (...) erscheinen Samson mit dem Löwen und Kaiser Konstantin, der im eiligen Galopp einhersprengt. Diese Symbole für den Sieg Christi gehören zu den beliebten Themen poitevinischer Portalplastik. Darüber nimmt ein Fries kleiner Figuren die ganze Breite der Fassade ein, über ihnen thront Christus, flankiert von zwei Engeln mit Posaunen, zu seinen Füßen die kostbar gewandete Muttergottes. (...)
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Christi Wiederkehr
Bei genauem Hinsehen entdeckt man, dass die Engel zu Seiten Christi die Posaunen nicht am Mund halten, sondern im Begriff, sind sie sinken zu lassen. Es ist der Moment der Erscheinung Christi am Jüngsten Tage dargestellt, die Parusie, und nicht das Gericht selber. Die Figuren im Reliefstreifen sind die Auferstandenen, die meisten von ihnen durch Wanderstab und Mantel als Pilger gekennzeichnet. Sie alle ziehen der Muttergottes entgegen, die die Mittlerrolle zwischen den Irdischen und dem Weltenrichter einnimmt."(1)

Die Muttergottes mit den Auferstandenen
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Die vier Evangelisten begleiten das Geschehen, doch nur zwei der Symbolfiguren sind an der Westfassade  erhalten: der Adler und der Mensch/Engel. Als abschreckendes Beispiel wird die Luxuria, die Wollust, gezeigt. Schlangen nagen an ihrem Körper...

Details der Fassade
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Drei reich geschmückte Fenster der Westfassade


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Detail am linken
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seitlichen Fenster
Dem Hauptportal entsprechend befindet sich ein großes zentrales Fenster im darüberliegenden Geschoss. Seine Archivoltenbögen sind phantasievoll geschmückt. Die beiden seitlichen Fenster waren dagegen ursprünglich nur Blindfenster. Sie entsprachen damit den seitlichen Scheinportalen und wurden erst später als Fenster geöffnet. Auch deren Archivolten sind ornamental geschmückt. Alle Bögen stehen auf schlanken Säulen mit Kapitellen.


Details der Archivolten am zentralen Fenster:
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Kapitelle im Obergeschoss der Westfassade, plastischer Bauschmuck an Türmen und Fenstern der Südseite

Die Westfassade wird vertikal kräftig gegliedert. Im Obergeschoss und an den Seiten übernehmen schlanke Säulenbündel mit Figurenkapitellen diese Funktion.

Kapitelle der Fassade
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Auch die Obergeschosse der beiden seitlichen Türme tragen plastischen Schmuck, ebenso die Fenstergewände der Südseite: kleine Säulen mit Kapitellen gliedern die Turmgeschosse, Konsolen tragen Masken.

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(1) Thorsten Droste: Das Poitou, DuMont Kunst-Reiseführer, 5. Aufl. 1993, Köln, S. 116 f.

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nach Talmont (sur Gironde), Ste-Radegonde