Fassaden, Portale und Kapitelle in der Saintonge (Frankreich)

Saintes - Die Abbaye aux Dames


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Saintes, Abteikirche St-Marie-des-Dames
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Saintes, Germanicus-Bogen
Saintes ist die Hauptstadt der Saintonge und in den Zeiten des römischen Imperiums war "Mediolanum Santorum" eine der führenden Städte im westlichen Gallien. Der prächtige Germanicus-Bogen und die Ruinen des Amphitheaters künden davon. Meist sind es ja die überkommenen Bauwerke (oder deren Reste), die von der Größe und Bedeutung einer Stadt von alters her zeugen. In Saintes nimmt auch die aus dem Mittelalter stammende Abbaye aux Dames - die Abtei der Damen - hierbei einen hervorragenden Platz ein. Es ist vor allem die Westfassade der Abteikirche mit ihrem reichen Skulpturenschmuck an den Archivoltenportalen, die den überregionalen Ruf begründet.

Abteikirche Ste-Marie-des-Dames, Westfassade
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Innenraum nach Ost
Das Kloster und die Kirche wurden bereits im frühen 11. Jahrhundert als Frauenkloster (Benediktinerinnen) über einem älteren Heiligtum erbaut. Bei den Planungen und Umbauten Ende des 11. und im 12. Jahrhundert entstanden der Vierungsturm und die Einwölbung mit Kuppeln, vor allem aber entstand durch die Verlängerung des Schiffes nach Westen eine neue Westfassade. Das war in der Zeit der berühmten Königin Eleonore von Auquitanien, deren Cousine Agnes dem Kloster damals als Äbtissin vorstand.
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Ansicht von SW, links: Musikpavillon
Die historischen Ereignisse gingen in den fast tausend Jahren seit der Gründung des Klosters nicht spurlos an den Gebäuden vorbei: Der Hundertjährige Krieg, die Religionskriege, die Französische Revolution - stets gab es Veränderungen, Zerstörungen, Abbruch aber auch Aufbau und Neubesinnung. Heute ist die Abbaye aux Dames nach umfangreicher Restaurierung ein Kulturzentrum, hier befindet sich eine der Spielstätten des alljährlich im Sommer stattfindenden (Musik-) Festivals von Saintes.

Im Mittelalter profitierte Saintes von der Lage am Jakobsweg, die Pilger konnten hier auf ihrer Wallfahrt nach Santiago de Compostela rasten. Bei ihrem Aufenthalt haben sie vielleicht intensiv die Fassade betrachtet.

Fassade und Portal der Abbaye aux Dames


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Saintes, Abteikirche, Westfassade
Die Fassade mit ihrem reichhaltigen Schmuck macht dann auch bis heute den Ruhm der Kirche aus: sie ist nach dem in der Region klassischen Schema in zwei horizontale plus Giebel und vertikal in drei Bereiche gegliedert. In der Mitte des unteren Geschosses befindet sich das Hauptportal, links und rechts flankiert von zwei Scheinportalen. Im zweiten Geschoss korrespondieren damit das erhöhte zentrale Fenster und die seitlich begleitenden Blendfenster. Über den Scheinportalen und in den Zwickeln der Bögen des Hauptportals befand sich einst ein Figurenzyklus, wie man an den Resten und der andersartigen Steinsetzung der Mauer noch erahnen kann.
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Detail der Westfassade

Heute konzentriert sich der Skulpturenschmuck auf die Archivolten und Kapitelle. Man muss schon eine Weile hinschauen, um bei den vielen Details die wohldurchdachte Ordnung zu erkennen.

Die Archivolten des Hauptportals


Betrachten wir also die Details am Hauptportal etwas näher:
Das vierstufige Portal wird bekrönt von insgesamt acht Archivolten, wobei sich jeweils schmale und breitere Bögen abwechseln. Die breiteren Bögen sind vorwiegend figürlich geschmückt und stehen auf in die Stufen eingestellten Säulen mit Kapitellen und Kämpfern, die schmalen auf entsprechenden Mauerecken. Optisch erhöht sich so die Zahl der Stufen und kunstvoll wird Monotonie durch Wechsel vermieden.

Saintes, Hauptportal der Abteikirche
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Schwebende Engel
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Auf der ersten Archivolte (das ist die innerste, gezählt wird von innen nach außen) schweben sechs Engel aufwärts, wobei die beiden obersten den Himmel öffnen, aus dem die segnende Hand Gottes dem Eintretenden aus einer Wolke entgegen ragt.
Der zweite, schmalere Archivoltenbogen darüber enthält ein verschlungenes Rankenband, das aus einem Kopf im Scheitel des Bogens links und rechts aus Mund und Ohren herauswächst.

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Detail der 3. und 4. Archivolte
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Detail der 1. Archivolte
Üppig rankende Pflanzen befinden sich auch im breiten, dritten Bogen; zwischen den Ranken sind vier geflügelte Wesen zu erkennen, die (von links unten aufsteigend nach rechts unten absteigend) die Evangelistensymbole darstellen: ein Stier (für Lukas), ein Engel oder Mensch (für Matthäus), ein Adler (für Johannes) und ein Löwe (für Markus). Sie umrahmen im Bogenscheitel das Lamm mit Kreuz und Buch (Agnus Dei), das als Symbol für Christus steht.

Saintes, Details am Hauptportal der Abteikirche, 3. u. 4. Archivolte
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Detail der 4. Archivolte
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Archivolten des Hauptportals
In der vierten Archivolte versuchen Vögel sich durch ein Geschlinge von Ranken nach oben zu kämpfen, die zwei obersten haben es offenbar geschafft und trinken gemeinsam aus einem Kelch. Die Vögel stehen symbolhaft für die Seelen der Gläubigen, die in ihrem Bemühen schließlich die ewige Seligkeit (den Kelch) erreichen.

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Detail der 5. Archivolte
Die Szenerie der in Dreiergruppen angeordneten Personen des fünften Bogens erschreckt: rechts stehende, bekleidete (gerüstete) Männer schlagen mit ihren Schwerten auf nackte, wenig kleinere Figuren ein; links davon stehen Frauen, manche mit resignierend herabgesunkenen, manche mit klagend erhobenen Armen, andere versuchen noch die Kinder wegzuziehen. Es ist unzweideutig: hier wird der Bethlehemitische Kindermord dargestellt. Dass die unschuldigen Kinder so groß geraten sind, lässt sich aus der "Bedeutungsperspektive" verstehen: als Märtyrer werden sie größer als ihre Mörder.

Saintes, Details am Hauptportal der Abteikirche, 5. Archivolte
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Älteste

Der sechste Bogen gibt sich friedlich, Pflanzenranken und Akanthusblätter leiten über zum siebten Bogen, auf dem die 24 Ältesten, die Könige der Apokalypse, würdevoll fröhlich thronen. In Saintes haben sie sich jedoch wundersam vermehrt, denn auf der Archivolte war Platz für insgesamt 54 dieser älteren Herren. Sie sitzen auf hohen Stühlen, halten jeder*) einen Kelch und eine Laute in den Händen und wenden sich paarweise zueinander. Die Ältesten bilden einen repräsentativen Rahmen für die Parusie, die Wiederkehr Christi am jüngsten Tag.

Saintes, Details am Hauptportal der Abteikirche, 54 Älteste
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*) Ein paar müssen immer aus der Reihe tanzen: Nicht alle wenden sich paarweise zu (haben Sie die entdeckt?), nicht alle haben einen Kelch, und einer hat keine Laute...

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Vögel und Löwen
In der achten Archivolte lassen sich wiederum Ranken erkennen, hauptsächlich bevölkern jedoch Vögel und Vierbeiner (wahrscheinlich sind es Löwen) den abschließenden Bogen.

Was mag der mittelalterliche Pilger nun in dieser Darstellung gesehen haben? Hatte die Welt eine Richtung, ein Ziel, eine Zuversicht? Thorsten Droste fasste die Ikonographie des Portals so zusammen: "Die Unschuldigen (=bethlehemitische Kinder) und die Gläubigen (=Vögel) werden laut göttlichem Ratschluss (=apokalyptische Könige) durch Christus (=Agnus Dei) erlöst." (1)

Die Kapitelle am Hauptportal


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Hauptportal, Gewände (li.)
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Hauptportal, Gewände (re.)
Doch nicht nur die Archivolten auch die Kapitellzone quillt nahezu über mit ihrer Dekoration. In diesem unteren Bereich der Kapitelle wird dagegen eher die Welt der Sühne und Strafe dargestellt: So finden wir links und rechts an den Kapitellen des Hauptportals in Pflanzenranken verstrickte Figuren, viele dabei in unnatürlicher Haltung, z. B. auf dem Kopf stehend, die von tierischen Wesen und Monstern gequält werden. Die Ranken scheinen von überallher zu wachsen und es ist ihnen schwer zu entkommen.


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Hauptportal, Kapitelle (li.)
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Hauptportal, Kapitelle (re.)

Schauen wir uns die Kapitelle aus der Nähe an!

Saintes, Abteikirche, Kapitelle (links) am Hauptportal
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Saintes, Abteikirche, Kapitelle und Kämpfer (rechts) am Hauptportal
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Detail
Die Darstellung vom Kampf des Guten gegen das Böse und die darin verstrickte Menchheit ist ein bevorzugtes Thema der romanischen Portalkunst. Auch die beiden Scheinportale zeigen in ihren leicht zugespitzten Archivolten (mit den Guten im Innern) und in der Kapitellzone (mit den weniger Guten) darauf Bezug nehmende Motive.

Die beiden Scheinportale weisen jeweils zwei Archivolten auf, wobei die inneren mit Christus und (Apostel-) Figuren, die äußeren jeweils mit Ranken und darin verstrickten (?) kleinen Figuren oder Tieren versehen sind.

Die seitlichen Scheinportale

Details am linken Scheinportal

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Christus ist jeweils am Kreuznimbus zu erkennen, auf der linken Seite wird er auf der inneren Archivolte von fünf weiteren Gestalten mit einem Buch in der Hand (wahrscheinlich Apostel) begleitet. Unten am Anfang des Bogens kämpfen zwei kleine Menschlein mit den Ranken. Die Pflanzenranken der äußeren Archivolte im linken Scheinportal bergen wiederum eine Vielzahl von Menschen und Tieren.

Die Archivolten des rechten Scheinportals


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Saintes, Abteikirche
rechtes Scheinportal
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Saintes, Abteikirche, Archivolte
am rechten Scheinportal (Detail)
Im rechten Scheinportal befindet sich Christus in großer Gesellschaft: die 24 Keilsteine der inneren Archivolte sind mit figürlichem Schmuck (Tiere und Personen) in radialer Anordnung versehen. Die ersten Personen links unten tragen tierische oder wilde Wesen auf ihren Schultern, die nächsten tragen zwei unbekleidete Menschen*), die ihre Arme nach oben recken, die folgenden zwölf Personen (in der Mitte) können jedoch komfortabel sitzen. Bei ihnen ist ein Tisch angedeutet, so dass es sich offensichtlich um die zwölf Jünger bzw. Apostel und das letzte Abendmahl handelt. Christus selbst befindet sich im Scheitel (13. Keilstein von links), er reicht dem Jünger neben ihm (12. Stein von links) ein Stück Brot. Der Figurenreigen im Bogen endet unten rechts, wie er links unten begann: wiederum tragen zwei hockende Menschlein tierische Wesen...

Details der Archivolten am rechten Scheinportal
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Adam und Eva?


*) Bei diesen beiden könnte es sich um Adam und Eva handeln  -->



Die äußere Archivolte enthält ebenfalls kleine Menschlein im Rankengewirr, diesmal aber zwischen Weinranken mit Trauben.

Die Kapitelle der Scheinportale


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Bist du das, Melusine?
Bleibt noch ein Blick auf die Kapitelle: Es ist verblüffend, wieviel Figuren nach einer Weile der Betrachtung zwischen all den Pflanzenranken sichtbar werden. Zwar werden einige von ihnen von Monstern gequält, doch hauptsächlich werden wohl Geschichten erzählt. Ein Ritter mit spitzem Schild auf seinem Pferd ist zu erkennen, dahinter eine traurige Figur;  ein Bischof, der zum Kampf (?) ausreitet, auch dahinter eine wehklagende Frauenfigur;  Samson (?) der dem Löwen das Maul aufreißt, ein armer Mensch, völlig von Pflanzenranken umstrickt... Und dann - ein Highlight - die zweischwänzige Nixe - eine Sirena bifida - ist das etwa Melusine? Wird hier die mittelalterliche Sagenwelt dargestellt? Lassen wir unserer Phantasie bei den verwitterten Darstellungen doch einfach freien Lauf und träumen ein wenig von den längst vergangenen Zeiten...

Abteikirche Saintes, Kapitelle (Details) am linken Scheinportal
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Auch am rechten Scheinportal scheinen die Kapitelle etwas erzählen zu wollen. Oder hat sich hier der Bildhauer mit seinem Hammer verewigt? Erfreulich ist, dass inzwischen auch etliche Figuren als Kopien neu gestaltet wurden.

Abteikirche Saintes, Kapitelle, Kämpfer und Fries (Details), rechtes Scheinportal
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Quellen und Literatur:
(1) Thorsten Droste, Romanische Kunst in Frankreich, DuMont Buchverlag Köln, 1989, S. 293
Für weitergehende Informationen zu Geschichte und Architektur sei auf die ausführliche Beschreibung der Abteikirche auf -->Wikipedia verwiesen.

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zum 2. Teil: St-Eutrope