Fassaden, Portale und Kapitelle im Poitou

Die Kirche St-Pierre in Parthenay-le-Vieux


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"Parthenay gehört gewiss zu den liebenswertesten Städten des Poitou" (Th. Droste). Wer die Stadt besucht hat, wird dem Kunsthistoriker Thorsten Droste unbedingt beipflichten. Und auch sein Tipp, die im Süden außerhalb des Ortes liegende Kirche St-Pierre in Parthenay-le-Vieux zu besuchen, findet absolute Zustimmung. Der Ort lag im Mittelalter an einem Zweig der Pilgerroute Via Touronensis nach Santiago de Compostela. Und wie man sieht, es ist gar nicht mehr so weit bis dahin - nur noch 1489,7 Kilometer... ;-)

St-Pierre in Parthenay-le-Vieux
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Linkes Scheinportal
Die Fassade ist von ausgewogener Komposition: sie wird vertikal in drei und horizontal in zwei Bereiche gegliedert. Im unteren Bereich finden wir wie so häufig in der Region mittig das Hauptportal, links und rechts von Scheinportalen flankiert. Die drei Portale besitzen jeweils an den Seiten zwei eingestellte Säulen, die annähernd gleich hohe Archivolten tragen. Die beiden Scheinportale zeigen im Tympanon figürliche Darstellungen, aber deren Deutung ist nicht einfach. Rechts wird offenbar ein Kampf dargestellt, man könnte zunächst an zwei Tiere denken, doch es soll sich um den Kampf von Samson mit dem Löwen handeln; links erkennen wir einen Reiter mit wehendem Mantel, Bischofsmütze und einer Taube, der über einen am Boden liegenden Mann reitet. Wer mag der Reiter sein?

St-Pierre in Parthenay-le-Vieux, Details der Scheinportale
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Wird hier der Kaiser Konstantin dargestellt? Aber der hatte keine Bischofsmütze, eher eine Krone. Oder ist es der heilige Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler teilte? Der wird doch wohl den Bettler nicht etwa dabei niederreiten? Wahrscheinlich handelt es sich bei der Reiterfigur um einen lokalen Bischof, der, beseelt vom heiligen Geist (Taube!), einen Häretiker oder Feind der Kirche besiegt... Die Kunsthistoriker vermuten dabei den Erzbischof Joscelin von Bordeaux.

Melusine

Das Schönste an diesem Portal aber stellen die Archivolten dar: Ganz außen werden die Bögen von einem Palmettenfries gerahmt, die folgende äußere Archivolte zeigt Fabelvögel. Und bei der inneren Archivolte ist Badetag! 37 mal sitzt hier die kleine Fee Melusine überaus drollig in ihrem Badezuber! Dabei wurde ihr doch versprochen, beim Baden NICHT zuzuschauen!

Melusine badet!
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Und was hat es nun damit auf sich? Graf Raymond, der das wunderschöne Mädchen Melusine ehelichte, musste ihr versprechen, sie NIEMALS (!) beim sonnabendlichen Bad zu beobachten.
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Man ahnt, es geht eine Weile gut, dann siegt die Neugier, er bohrt ein Loch in die Tür und entdeckt, dass sich seine schöne Frau beim Baden vom Nabel abwärts in eine Nixe mit Fischschwanz verwandelt. Tja, Melusine gehörte noch einer zweiten, völlig anderen Welt an... (Übrigens, Goethe machte später eine Märchenerzählung, "Die neue Melusine", daraus, auch hier handelt die Geschichte von zwei sehr verschiedenen Welten. Und Fontane lässt noch später in seinem Roman "Der Stechlin" den Herrn Czako, als er den Vornamen der Gräfin von Barby erfährt, spontan ausrufen: "Melusine? ... oh, das lässt aber tief blicken!" (1) ).
Da Melusines Geheimnis nun entdeckt ist, sehen wir sie in der Archivolte des Hauptportals als fischschwänziges Wesen. Wir sehen sie gleich doppelt, vermutlich ist sie mit sich selbst (d. h. mit ihrem Spiegelbild) konfrontiert.

Melusine mit sich selbst (im Spiegel) konfrontiert
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Im Innern von St-Pierre

Wie geht es mit Melusine weiter? Sie ist entdeckt, muss ihren Mann, ihre Kinder verlassen und nun immer in der Nixengestalt verbleiben. Manche wollen gesehen haben, wie ihr Flügel wachsen und sie davon fliegt... Es gibt mehrere Varianten der Sage: bei einer tut Melusine viel Segensreiches - vielleicht werden deshalb so häufig ein- und auch zweischwänzige Nixen an und in Kirchen abgebildet? Auch in St-Pierre finden wir im Innern ein schönes Kapitell mit Melusine als einschwänzige Nixe.

Melusine auf einem Kapitell im Innern von St-Pierre
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Neben der einschwänzigen Nixe entdeckt man weitere Tiere und Fabelwesen an den Kapitellen: geflügelte Steinböcke, Löwen (?), Esel (?) und seltsame Vögel:

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Außenansicht von Südwest
Der Innenraum der dreischiffigen Hallenkirche (das Mittelschiff erhebt sich nur unwesentlich über die beiden Seitenschiffe) wird außer durch die Fenster der Seitenschiffe auch durch das große Fenster der Westfassade belichtet. Die indifferente Beleuchtung des Innern erhöht zusätzlich den monumentalen Raumeindruck der interessanten Kirche. Die drei Schiffe sind tonnengewölbt, wobei die Baumeister mit fortschreitender Wölbung Spitztonnen verwendeten, um den Gewölbeschub zu verringern. Trotzdem musste in späterer Zeit der zunehmenden Neigung der Wände teilweise durch Zuganker und außen durch mächtige Strebepfeiler entgegengewirkt werden. Alle drei Schiffe werden unter einem gemeinsamen Dach vereint.

Im Innern von St-Pierre in Parthenay-le-Vieux
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Noch mehr Details der Westfassade

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Westfassade
Wieder draußen im Tageslicht, schauen wir uns noch ein paar Details der Westfassade genauer an. Neben kunstvollen Friesen mit pflanzlichen Motiven und Löwen tragen die in den Portalen eingestellten Säulen u. a. Kapitelle mit Fabelwesen und Reitern. Gruslig dagegen der Anblick der zwei den Menschen attackierenden Würmer (Schlangen?). Doch erfreulich zu sehen, dass die Restaurierungsarbeiten die besonders gefährdeten Bereiche nach und nach ersetzen.

Details der Westfassade von St-Pierre in Parthenay-le-Vieux
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Kapitell

Die die Fassade vertikal gliedernden Säulenvorlagen werden ebenfalls durch Kapitelle geschmückt. Ein Fries mit Löwenköpfen (?) - sie sehen eher wie Kätzchen aus - und Konsolen mit verschiedenen Darstellungen von Köpfen und Tieren bilden die horizontale Trennung zum oberen Bereich der Westfassade. Auch hier wird ein Mensch von grausligen Wesen attackiert...

Details der Westfassade von St-Pierre in Parthenay-le-Vieux
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1) Nymphen und Nixen verzaubern die Menschen von jeher und haben vielfältig Eingang in die Literatur (selbst bei Loriot: "Melusine! Kraweel, Kraweel!"), bildende Kunst und Musik gefunden.
Hier können Sie mehr darüber erfahren:
Claudia Steinkämper, Melusine - vom Schlangenweib zur "Beauté mit dem Fischschwanz", Geschichte einer literarischen Aneignung, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 2007, ISBN 978-3-525-35889-4
Arne Eppers: Die neue Melusine, ein Märchen vom Scheitern einer interkulturellen Beziehung, http://www.arne-eppers.de/Ebene 3 Melusine.htm
Cornelia Staudacher, Todeskuss im Mondenschein, Eine Lange Nacht der Undinen und Melusinen, http://www.deutschlandfunk.de/todeskuss-im-mondenschein.704.de.html?dram:article_id=232429
Einen lesenswerten Artikel zu Melusine finden sie bei ->Wikipedia.

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in die Altstadt von Parthenay, Ste-Croix, St.-Laurent