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Die Kapitelle im Kreuzgang der Abtei von Moissac
Beinahe wäre es noch schiefgegangen, denn der Kreuzgang sollte einer Eisenbahn weichen. Doch es formierte sich Widerstand, die Trasse wurde ein wenig nach Norden verlegt, der älteste Kreuzgang Frankreichs blieb zum Glück erhalten und die Touristen strömen heute in Scharen. Nur das Refektorium ist für immer verloren.

Moissac, Kreuzgang
Der Kreuzgang hat eine fast quadratische Form, Nord- und Südflügel mit etwa 27 Meter Länge besitzen jeweils 18, am West- und Ostflügel (Länge etwa 31 Meter) zählt man jeweils 20 Arkaden. Einfach- und Zwillingssäulen wechseln sich einander ab. Die vier Ecken des Kreuzganges und auch die Mitte jedes Flügels werden durch Pfeiler betont.

NO-Eckpfeiler

Am Mittelpfeiler des Westflügels befindet sich eine lateinische Inschrift, deren Übersetzung Auskunft gibt, dass der Kreuzgang im Jahr 1100 zur Zeit des Abtes Ansquitil fertiggestellt wurde: "ANNO AB INCARNATIONE AETERNI PRINCIPIS MILESIMO CENTESIMO FACTUM EST CLAUSTRUM ISTUD TEMPORE DOMINI ANSQUITILI ABBATI AMEN". Darunter folgen noch 12 einzelne Buchstaben, deren Bedeutung bisher nicht entziffert wurde.
Der Kreuzgang ist nicht in der ursprünglichen Form erhalten, er wurde im 13. Jahrhundert schwer beschädigt, doch unter Abt Bertrand de Montaigut (1260-1295) wieder aufgebaut. (Daher die gotischen Bögen.) Es gilt aber als sehr wahrscheinlich, dass die Kapitelle ihre originalen Plätze behalten haben. Die Kapitelle bestehen in der überwiegenden Zahl aus Kalkstein. Sie sind pyramidenförmig und mit Pflanzenmotiven, Tieren und menschlichen Figuren geschmückt. Auch die Abakus- bzw. Kämpferplatten über den Kapitellen tragen phantasievolle Motive.

Kreuzgang (Nordflügel)

Kapitelle im Kreuzgang
Viele Kapitelle sind mit planzlichen Motiven wie z. B. Ranken, Früchte oder Akanthusblättern verziert. Andere zeigen Palmetten oder Pinienblätter, auch arabische Einflüsse sind nachweisbar. Unter den Tierdarstellungen überwiegen Adler und Löwen. Von den Kapitellen mit menschlichen Figuren zeigen elf Kapitelle Szenen aus dem Alten Testament (Adam und Eva, Sündenfall, Abraham opfert seinen Sohn Isaak, Samson u. a.), die meisten beziehen sich jedoch auf Christus: Verkündigung, Anbetung der Könige, Taufe, Fußwaschung usw. Auch die Apostel und Märtyrer werden bedacht, darunter ist die Kreuzigung des Petrus besonders endringlich.

Plan: Cazes (2)
Beginnen wir unseren Rundgang an der Nordost-Ecke des Kreuzgangs:
(Die Zahlen entsprechen der Nummerierung im schematischen Plan des Kreuzganges rechts.)
Die Kapitelle des Ostflügels
Der Reiche sitzt am vollgedeckten Tisch und lässt es sich gutgehen, der arme Lazarus*) hingegen liegt sterbend vor der Tür. Auf den anderen Seiten des Kapitells ist nun zu sehen, wie ein Engel die Seele des gestorbenen Lazarus in Empfang nimmt diese zu Abraham geleitet, der sie liebevoll aufnimmt. An der Schmalseite zum Kreuzgang hin wird schließlich noch der Tod des Reichen gezeigt, dessen Seele ein Dämon ergreift. Das (leider ziemlich beschädigte) Kapitell ist vielleicht die älteste plastische Darstellung der Lazarusgeschichte. Doch in Moissac wird die Geschichte noch ein zweitesmal sehr eindringlich dargestellt, diesmal auf der linken Seitenwange (der Vorhalle) des Südportals.
*) Der arme Lazarus ist nicht identisch mit dem von Jesus wiedererweckten Lazarus.
*) Der arme Lazarus ist nicht identisch mit dem von Jesus wiedererweckten Lazarus.
In dem schon erwähnten großartigen Roman "Der Name der Rose" lässt Umberto Eco den blinden Jorge sich über die Pracht der figürlichen Darstellungen verbittert ereifern:

aus: Umberto Eco: Der Name der Rose, Aus dem Italienischen von Burkhart Kroeber, Lizenzausgabe der Süddeutschen Zeitung GmbH, München, 2004, S. 112
Die Kapitelle des Südflügels
Die Reliefplatten an den Pfeilern des Kreuzganges

Relief des Durandus

I: Johannes
An den Eck- und Mittelpfeilern des Kreuzgangs in Moissac befinden sich große Reliefplatten mit den Darstellungen der Apostel. "Schon durch diese Reliefs war der Kreuzgang mit hoher Bedeutung aufgeladen, weil die skulpturale Ausstattung Selbstverständnis und Identität der Klostergemeinschaft dokumentierte. Das cluniaziensische Mönchsideal sah die Mönche als Nachfolger der Apostel, die nun inmitten der Mönchsgemeinschaft ständig vergegenwärtigt und konkret mit der Klostergeschichte verbunden wurden. Ein Relief, das Durandus, den ersten cluniaziensischen Abt in Moissac, zeigte, erweiterte nämlich die Reihe der Apostel und war am Pfeiler gegenüber dem Eingang zum Kapitelsaal platziert. Wie ein Apostel erschien auf diese Weise der als heilig verehrte Abt am Versammlungsort der Mönche und vermittelte Vorbild und Autorität der Apostel sichtbar in die Gegenwart." (Bruno Reudenbach, 3)

II: Jakobus

I: Johannes

NO-Pfeiler

II: Jakobus
Die Apostel an den Eckpfeilern bilden jeweils Paare. Am NO-Pfeiler (I, II) sind es Johannes und Jakobus der Ältere, am SO-Pfeiler (IV, V) die Apostelfürsten Petrus und Paulus. Den SW-Pfeiler (VII, VIII) belegen Matthäus und Bartholomäus, am Mittelpfeiler (IX) der Westgalerie finden wir die später hier angebrachte Darstellung des Simon und den NW-Eckpfeiler (X, XI) teilen sich Philippus und Andreas. Die anderen Apostelreliefs gingen verloren.
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V: Paulus | IV: Petrus | VIII: Bartholomäus | VII: Matthäus |
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IV: Petrus | V: Paulus | VII: Matthäus | VIII: Bart. | IX: Simon | X: Philippus | XI: Andreas | NW-Pfeiler |
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Wird fortgesetzt...
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Quellen:
(1) Thorsten Droste, Julia Hennings: Frankreich, Der Südwesten, DuMont Kunstreiseführer, DuMont Reiseverlag, Ostfilder 2012, S. 120 ff.
(2) Maurice Scellès (Heritage curator): Visiting Moissac Abbay, Éditions Sud Ouest, 2000
(3) Bruno Reudenbach: Die Kunst des Mittelalters, Bd. I: 800 bis 1200, C. H. Beck, München 2008
(1) Thorsten Droste, Julia Hennings: Frankreich, Der Südwesten, DuMont Kunstreiseführer, DuMont Reiseverlag, Ostfilder 2012, S. 120 ff.
(2) Maurice Scellès (Heritage curator): Visiting Moissac Abbay, Éditions Sud Ouest, 2000
(3) Bruno Reudenbach: Die Kunst des Mittelalters, Bd. I: 800 bis 1200, C. H. Beck, München 2008