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Notre Dame ist eine der meistbesuchten Sehenswürdigkeiten Europas - ist doch die Kathedrale nicht nur ein Wahrzeichen von Paris oder Frankreich. Die Brandkatastrophe hatte 2019 die Menschen ins Herz getroffen. Aber Hoffnung und Zuversicht wurden nicht zerstört: Die Kathedrale ist wieder aufgebaut!
Westfassade und -portale der Kathedrale Notre Dame de Paris - Teil 1
Notre Dame de Paris
Die Kathedrale Notre Dame in Paris gilt vielen als Inbegriff der gotischen Baukunst. Die Baugeschichte der Pariser Bischofskirche ist wechselvoll: Die Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche gingen an ihr nicht spurlos vorüber, nachfolgende Generationen versuchten dann, die Schäden wieder zu beseitigen. So tauchten zum Beispiel wie durch ein Wunder in den 1970er Jahren die Köpfe der abgeschlagenen Königsgalerie (heute im Museé Cluny) wieder auf und die Statuen konnten rekonstruiert werden. Wie alle großen Kathedralen wird die Kirche immer eine Baustelle sein, wofür nicht nur die Westfassade ein beredtes Beispiel ist.
Die eindrucksvolle Westfassade von Notre Dame mit ihrer Dreiportalanlage zeigt einen klar gegliederten und wohlproportionierten Aufbau. Im unteren Geschoss öffnen sich tief abgestuft in das Mauerwerk zwischen Strebepfeilern die drei Portale mit ihren reich geschmückten Gewänden und Tympana. Das mittlere Portal - das sogenannte Weltgerichtsportal - ist gegenüber den seitlichen Eingängen leicht erhöht. Abgeschlossen wird die Portalzone durch die Königsgalerie mit ihren 28 Statuen. Die Westfassade ist 45 Meter breit und mit den Türmen 69 Meter hoch.
Die Gewändestatuen der Portale, die Statuen der Königsgalerie und an den Strebepfeilern sind heute Kopien bzw. Ergänzungen des 19. und 20. Jahrhunderts.
Das Weltgerichtsportal
Das mittlere der drei Westportale thematisiert das Weltgericht: Im oberen Teil des Tympanons thront der Weltenrichter Christus - doch anstatt mit herrischer Geste auf Verdammte und Auserwählte zu weisen präsentiert er mit erhobenen Händen seine Wundmale. Nicht der strenge Richter sondern der Heiland steht im Vordergrund, dessen Opfertod die Menschheit erlöst. Links und rechts von ihm halten zwei Engel die Marterwerkzeuge Lanze und Kreuz in ihren Händen. Weiter außen knieen die Jungfrau Maria und der Apostel Johannes als Fürbitter. Cristus' Füße stehen auf den Zinnen einer Stadt, die das himmlische Jerusalem symbolisieren.
Das Feld darunter enthält rechts von Christus (also wie immer links vom Betrachter) die Schar der Auserwählten, die ins Paradies gelangen, rechts vom Betrachter die Verdammten, die von einem Teufel mit einer Kette gefesselt direkt in die Hölle geführt werden. Dabei ist nicht zu übersehen, dass die Auserwählten Kronen tragen und unter den Verdammten sich etliche Frauen befinden ... Aber so war nun einmal die mittelalterliche Weltsicht. Erstaunlicherweise gibt es hier keinen furchteinflößenden Höllenrachen und das Heulen und Zähneklappern hält sich in Grenzen, alles geht irgendwie seinen geregelten Gang. Ob die ewige Verdammnis etwa doch nicht so ewig ist??
In der Mitte steht der Erzengel Michael mit der Seelenwaage, die Teufel versuchen hier vergeblich zu betrügen.
In der Mitte steht der Erzengel Michael mit der Seelenwaage, die Teufel versuchen hier vergeblich zu betrügen.
Der Türsturz zeigt die durch Posaunen begleitete Auferstehung der Toten, er ist eine Neuschöpfung und unterscheidet sich stilistisch stark von den originalen oberen Teilen des Tympanons. Doch finden wir durchaus einige der oberen Figuren hier wieder ...
In den sechs Archivolten befinden sich eine Vielzahl von Figuren, die auf das Geschehen um das Weltgericht Bezug nehmen: So sieht man rechts auf der Seite der Verdammten diverse Teufel, die die armen Sünder quälen,
hingegen auf der Seite der Erlösten birgt Abraham die Seelen in seinem Schoß:
Engel, Heilige, Propheten und andere sind in den Bögen wie bei einem Bühnenstück Zeugen des Geschehens:
Andreas, Johannes und Petrus
Le Beau Dieu
Am Mittelpfeiler (Trumeau) steht Christus (eine Figur des 19. Jahrhunderts), die Gewändestatuen stellen die 12 Apostel dar. Es sind auf der linken Seite (von links nach rechts): Bartholomäus, Simon, Jakobus d. J., Andreas, Johannes und Petrus und auf der rechten Seite Paulus, Jakobus d. Ä., Thomas, Philippus, Judas und Matthäus. Dabei handelt es sich um Kopien der Apostel vom Nordquerhaus der Kathedrale von Bordeaux, die Reste der ursprünglichen Figuren befinden sich im Museé de Cluny. (1)
Die Symbole der Evangelisten (Adler, Engel, Stier und Löwe) dürfen natürlich am Weltgerichtsportal ebenfalls nicht fehlen:
Das Marienportal
Das linke Seitenportal ist in seinem Bildprogramm ganz der Jungfrau Maria verpflichtet. Die Madonna präsentiert ihr Kind den Besuchern in einer schönen Darstellung des 19. Jahrhunderts am Mittelpfeiler (Trumeau-Madonna). Interessant ist in diesem Zusammenhang vor allem auch die Sockelpartie, die in drei ineinander übergehenden Szenen die Erschaffung Evas, den Sündenfall (mit einer herrlich verführerischen Schlange!) und schließlich die Vertreibung aus dem Paradies zeigt. In dieser Kombination werden Eva und Maria antithetisch gegenüberstellt: ohne Evas Sündenfall unten im Sockel gibt es oben keine erlösende Maria - Maria überwindet durch ihre Reinheit Evas Sünde und bringt mit dem Kind das Heil in die Welt ... Maria ist die neue Eva!
Das Tympanon ist dreigeteilt. Im unteren Teil, auf dem Türsturz, erkennt man in der Mitte die Bundeslade, daneben Patriarchen, Könige oder Propheten des Alten Testaments. Darüber werden Tod und Himmelfahrt Marias dargestellt: Zwei Engel halten das Tuch auf dem Maria liegt, die Apostel sitzen bzw. stehen daneben. Christus erscheint und deutet mit seiner Gestik die Aufnahme in den Himmel an. Der obere Teil des Bogenfeldes zeigt die Marienkrönung, ein Engel setzt im Himmel der neben Christus thronenden Maria die Krone auf. Engel, Heilige und Propheten - die ganze himmlische Bevölkerung ist in den Archivolten wiederum Zeuge des Geschehens.
Auf der linken Seite des Gewändes stehen Karl der Große (*?) und der Heilige Dionysus (der trägt seinen Kopf in den Händen) zwischen zwei Engeln. Auf der rechten Seite befinden sich Johannes der Täufer, der Heilige Stephanus, die Heilige Genoveva sowie ein Bischof (Papst Leo III. ?). An den seitlichen Türrahmen weisen die Darstellungen der Tierkreiszeichen und Monatsbilder auf das sich stetig wiederholende Jahresgeschehen hin.
(*?) - Nein, es handelt sich nicht um Karl den Großen, wie man es noch bei älteren Beschreibungen findet, sondern um Konstantin den Großen, wie es auf der Internetseite von Notre Dame zu lesen ist: http://www.notredamedeparis.fr - Vielen Dank für den Hinweis! hb)
Die heilige Genoveva von Paris ist Schutzpatronin der Stadt (nicht verwechseln mit der Genoveva von Brabant aus der anderen bekannten Geschichte): es soll ihr gelungen sein, die Stadt vor den kriegerischen Truppen Attilas zu retten. Hier im Gewände versucht ein kleiner Teufel ihr das Licht auszublasen - doch auf der anderen Seite steht schon ein Engelchen bereit, es wieder anzuzünden.
Das Annenportal
Das rechte Seitenportal ist das älteste der drei Portale. Es stammt aus der Zeit des Baubeginns der Kathedrale und war ursprünglich wohl für einen anderen Platz bestimmt, vielleicht für das Querhaus.
Der obere Teil des Tympanons zeigt die thronende Madonna mit dem Kind, begleitet von zwei Engeln mit Weihrauchfässern. Zu der Szene gehören weitere Personen: rechts ein knieender König (Chlodwig?, Ludwig VII.?), sowie links ein Bischof (Remigius?, Bauherr Maurice de Sully?) und ein weiterer Geistlicher. Sehr schön zeigt die strenge Frontalität der Figuren, insbesondere der thronenden Maria mit Christus im Tympanon, ihre frühe Entstehungszeit um 1140/1150.
Im oberen Teil des Türsturzes findet man Szenen aus dem Leben Marias: der Tempelgang, die Verkündigung, die Heimsuchung (Maria besucht die gleichfalls schwangere Elisabeth), die Geburt Jesu, die drei Könige aus dem Morgenland...
Im unteren Teil werden u. a. die Eltern der Jungfrau Maria, Anna und Joachim dargestellt, was zur Benennung "Annenportal" führte.
In den Archivolten kann man wiederum Engel, Könige und Propheten erkennen, diese Figuren stammen vom Anfang des 13. Jahrhunderts.
In den Archivolten kann man wiederum Engel, Könige und Propheten erkennen, diese Figuren stammen vom Anfang des 13. Jahrhunderts.
Die Trumeaufigur zeigt den sagenhaften Pariser Bischof Marcellus, der die Stadt vor einem Drachen bewahrt haben soll. Dargestellt ist der Moment, in dem Marcellus seinen Bischofsstab in das Maul des Drachen stößt. Die Skulptur ist eine Kopie aus dem 19. Jahrhundert, das Original befindet sich im Museé de Cluny.
Ebenso stammen die acht Gewändefiguren aus dem 19. Jahrhundert. Links stehen (von links nach rechts) der Prophet Elias, die Witwe von Sarepta (*), König Salomo und Petrus. Ihnen entsprechen auf der rechten Seite die Figuren des Paulus, David, Sibylle (eine Prophetin des Alten Testaments) und Jesaja.
Ebenso stammen die acht Gewändefiguren aus dem 19. Jahrhundert. Links stehen (von links nach rechts) der Prophet Elias, die Witwe von Sarepta (*), König Salomo und Petrus. Ihnen entsprechen auf der rechten Seite die Figuren des Paulus, David, Sibylle (eine Prophetin des Alten Testaments) und Jesaja.
(*) Die Witwe von Sarepta ist eine Gestalt des Alten Testaments (Buch der Könige), zu der der Prophet Elias während der großen Dürre sagte, dass das Mehl in ihrem Topf und das Öl in ihrem Krug nicht versiegen würden bis zu dem Tag, an dem Jahwe wieder Regen sendet.
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Quellen und Literaturtipps:
1) Julia Droste-Hennings, Thorsten Droste: Paris, Eine Stadt und ihr Mythos, DuMont Reiseverlag, Ostfildern, 2. Auflage 2005
Werner Schäfke: Frankreichs gotische Kathedralen, Eine Reise zu den Höhepunkten mittelalterlicher Architektur, Primus Verlag und Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2007
Uwe A. Oster (Hrsg.), Die großen Kathedralen, Gotische Baukunst in Europa, Primus Verlag Darmstadt, 2003
1) Julia Droste-Hennings, Thorsten Droste: Paris, Eine Stadt und ihr Mythos, DuMont Reiseverlag, Ostfildern, 2. Auflage 2005
Werner Schäfke: Frankreichs gotische Kathedralen, Eine Reise zu den Höhepunkten mittelalterlicher Architektur, Primus Verlag und Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 2007
Uwe A. Oster (Hrsg.), Die großen Kathedralen, Gotische Baukunst in Europa, Primus Verlag Darmstadt, 2003
Notre Dame - Teil 2: Portale der Nord- und Südfassade