Portale, Konsolen u. a. der Nikolaikirche in Zerbst (Anhalt)


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Roland und Nikolai-
kirche 1977
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Roland und Nikolaikirche 2015
Die Nikolaikirche "war die Pfarrkirche des Kaufmannsviertels von Zerbst, ... (sie liegt) in der unmittelbaren Nachbarschaft zum Rathaus und dem Hauptmarkt der Stadt." (M. Friske)
Der gewaltige Bau (es ist die größte Kirche in Anhalt, Länge über 70 Meter, Breite des Schiffes etwa 25 Meter), beeindruckt heute leider nur noch als Ruine, die Kirche wurde ebenso wie die Altstadt von Zerbst im Bombenhagel des 2. Weltkriegs zerstört. Vom romanischen Vorgängerbau (um 1200) sind die unteren Geschosse des Südturmes erhalten.

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Romanisches Mauerwerk am Südturm (rechts)

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Ansicht von Osten
Nach 1420 begann der Bau des Chors im Osten als spätgotische Hallenkirche in den Stilformen der Prager Parlerschule, 1488 beendete Hans Kumoller den Bau des Langhauses mit dem Anschluss an die Türme. Die Ostseite des Hallenumgangschors zeigte einen reichen Schmuck, Reste des Maßwerkdekors zeugen bis heute davon.
Mit Einführung der Reformation gingen 1525 große Teile der mittelalterlichen Austattung bei einem Bildersturm verloren.

Die sechs Zugänge ins Kircheninnere sind sehr unterschiedlich gestaltet (ein Portal zeigt typisches Dekor der Renaissancezeit). An der Zerbster Nikolaikirche sind nicht das Westportal oder die zum Markt gerichteten Südportale, sondern die beiden spätgotischen Nordportale mit Kielbogen und Fialen reich ausgestaltet. Hier sind die geleisteten Arbeiten zum Erhalt/zur Restaurierung hervorzuheben.

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An der Außenseite kann man an den Strebepfeilern zudem eine Reihe von Konsolen mit Büsten bzw. Köpfen finden. Auch ein kleiner Drache (?), eine "Judensau" (s. u.) und zwei Sonnenuhren finden sich an den Außenmauern.
Am Südpfeiler mit der schönen Polstabsonnenuhr liest man: Anno dni. MCCCCLXXXIIII is angeleth dyt stucke muren.

Konsolen und Köpfe
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Die Ruine ist dank des Engagements von Bürgern, Behörden, Firmen und Vereinen (Förderkreis St. Nicolai Zerbst e. V.,  -> https://www.sanktnicolai-zerbst.de) gesichert, die oberen Teile des Südturms wurden wieder aufgebaut.

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2007 wurde auch das wertvolle Geläut festlich wieder in Betrieb genommen. Das ist wirklich etwas Besonderes: Vier mittelalterliche Glocken haben wie durch ein Wunder die Wirren der Zeit überstanden, sie wurden repariert und 2007 durch eine fünfte Glocke ergänzt. Die größte Glocke, die "Gloriosa", gehört sogar zu den ganz großen Glocken des Mittelalters - mit Klöppel beträgt ihre Masse fast 5 Tonnen, sie wurde 1378 (!) gegossen und zählt damit zu den ältesten und größten Glocken nicht nur in Anhalt, sondern in ganz Deutschland!

Mehr interessante Details zu den Glocken (und zur Kirche) können Sie auf den Webseiten des Förderkreises St. Nicolai nachlesen: https://www.sanktnicolai-zerbst.de/neuesgelaeut.html

In der Debatte um Erinnerungskultur und Verantwortung vor der Geschichte hat sich der Gemeindekirchenrat der Kirchengemeinde St. Nicolai und St. Trinitatis eindeutig positioniert. Diesen Ausführungen ist nichts hinzuzufügen:

Die Skulptur der "Judensau" am Strebepfeiler

Textquelle: Tafel am Strebepfeiler von St. Nicolai
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Im Jahr 1324 wurden Juden erstmals im Zerbster Schöffenbuch erwähnt. Ihre Wohnquartiere sind bis heute in den Straßennamen "Jüdenstraße" und "Silberstraße" nachweisbar. Um 1450 wurde in diesen Strebepfeiler der St.-Nicolai-Kirche das Relief einer sogenannten "Judensau" eingearbeitet. In zahlreichen Städten findet man vergleichbare Schmähskulpturen aus dieser Zeit. Zu sehen sind hier ein Schwein und Menschen (durch ihre spitzen Hüte als Juden zu erkennen), die u. a. an den Zitzen der Sau trinken. Es handelt sich um eine Verhöhnung, Ausgrenzung und Demütigung der jüdischen Menschen, für die das Schwein als unrein gilt. Der Zweck der Darstellung ist nicht abschließend geklärt: Sie könnte bedeuten, dass Juden keinen Handel auf dem Markt treiben durften - oder, dass Juden kein Wohnrecht in der Stadt hatten.

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Seit dem 15. Jahrhundert erscheint das Motiv der "Judensau" als aggressive Karikatur und Schimpfwort. Die Nationalsozialisten griffen die Motive auf und verwendeten sie zur Hetze, Verleumdung und Bedrohung. Auch in Zerbst wurden die Synagoge, jüdische Geschäfte und Wohnhäuser verwüstet. Ende 1942 war die jüdische Gemeinde in Zerbst ausgelöscht. Stolpersteine erinnern in der Stadt an Vertriebene und Ermordete.

Die Schmähskulptur und ihre Bedeutung sind ein verabscheuungswürdiges und nicht tolerierbares Zeugnis des Hasses. Der Gemeindekirchenrat der Kirchengemeinde St. Nicolai und St. Trinitatis distanziert sich davon - und hat dennoch beschlossen, dieses Schandmal als Mahnung und Erinnerung an begangenes Unrecht zu erhalten.

Zerbst/Anhalt im November 2021

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nach Frankreich, zu Notre Dame de Paris