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Romanische Backsteinkirchen im Jerichower Land - Teil 4
Dorfkirche St. Marien und Willebrord in Schönhausen


Der Ort Schönhausen mit der Kirche St. Marien und Willebrord liegt etwa 9 km nördlich von Jerichow. Die Dorfkirche ist eine weitere Station auf der "Straße der Romanik". Es handelt sich um eine dreischiffige Langhausbasilika (ohne Querhaus), die mit einer Gesamtlänge von 42,70 Meter ungewöhnlich groß für eine Dorfkirche ist. Dehio würdigte die Kirche "als bedeutendster Nachfolgebau der Klosterkirche Jerichow". In der Tat zeichnet sich "der in seiner mittelalterlichen Substanz kaum veränderte Baukörper durch eine Vielzahl struktureller und dekorativer Gliederungselemente aus, die hervorragende Einblicke in Bauvorgänge und Gestaltungsprinzipien der romanischen Backsteinarchitektur gewähren." (R. Naumann, /3/)
Schauen wir uns das Bauwerk etwas näher an:


Im Osten schließt eine flache Rundapsis an den Chor an. Vier Lisenen gliedern die Rundwand in drei gleichgroße Felder, in denen sich die Fenster befinden. Über den Fenstern verläuft ein Kreuzbogenfries, darüber befinden sich zwei sogenannte "deutsche Bänder" (auch "Strombänder" genannt), mit ihren über Eck gestellten Backsteinen. Die Konsolen des kegelförmigen Apsisdaches sind dagegen neuzeitlich.
Die Wände des Chores haben die gleiche Höhe und Breite wie das Mittelschiff. Sie werden durch die zwei breiten Ecklisenen und eine schmale Mittellisene in gleichbreite Felder geteilt, in denen sich je ein Rundbogenfenster befindet. Wie auch an der Apsis schließt ein sorgfältig ausgeführter Kreuzbogenfries mit darüber liegendem doppelten sogen. deutschen Band oben ab.
Die Wände des Chores haben die gleiche Höhe und Breite wie das Mittelschiff. Sie werden durch die zwei breiten Ecklisenen und eine schmale Mittellisene in gleichbreite Felder geteilt, in denen sich je ein Rundbogenfenster befindet. Wie auch an der Apsis schließt ein sorgfältig ausgeführter Kreuzbogenfries mit darüber liegendem doppelten sogen. deutschen Band oben ab.


Reproduktion aus: Adler, 1862, /1/
Backsteinbauten, Tafel 24/3
Auch die Außenwände des Mittelschiffs werden durch Lisenen gegliedert, diesmal in drei gleichgroße Felder, mit je zwei Rundbogenfenstern in jedem Wandfeld. (Das westliche Fenster ist allerdings zugesetzt.) Man muss schon genau hinschauen, um zu erkennen, dass jedes Wandfeld oben durch einen anderen Fries abgeschlossen wird. Im mittleren Feld sehen wir den Kreuzbogenfries, in den beiden äußeren sind es zwei unterschiedliche Rautenfriese. An den Seitenschiffen haben sich auf der Südseite hingegen nur ein Fenster, auf der Nordseite nur zwei Fenster in ursprünglicher Form erhalten, die anderen wurden vergrößert. Das gestufte Eingangsportal auf der Südseite befindet sich in rechteckiger Wandvorlage. Eine Dreiviertelsäule, die sich als Archivolte fortsetzt, ist in die Stufe eingestellt. Neben dem Eingang sind eine Vielzahl von Rillen- und Näpfchenschürfungen erkennbar.

Der mächtige Westquerturm ragt mit seinen 17,50 Meter Breite leicht über die Seitenschiffswände hinaus. Auch der Turm besitzt Ecklisenen und wird zusätzlich durch drei horizontal verlaufende Friese (teilweise wechseln sich hier Winkel- und Bogenfriese ab) gegliedert. An der Westseite des Turmes befindet sich in der fast quadratischen Wandvorlage ein dreifach gestuftes Portal. In die mittlere Stufe ist eine Dreiviertelsäule eingestellt, die ebenfalls als Archivolte im Bogen fortgeführt wird. Das Westportal ist heute zugesetzt.
Um den gesamten Bau zieht sich eine durchgehende Sockelzone.
Um den gesamten Bau zieht sich eine durchgehende Sockelzone.


Die Kirche kann innen besichtigt werden. Nach Schäden durch den Dreißigjährigen Krieg wurde sie Ende des 17./Anfang des 18. Jahrhunderts barock erneuert, wovon im Innern vor allem der barocke Hochaltar, die Patronatsloge (mit den Wappen derer von Bismarck und derer von Katte), die Orgel und verschiedene Epitaphien zeugen. Otto von Bismarck wurde hier getauft, eine Gedenktafel erinnert daran. Aus der romanischen Bauzeit sind der Taufstein und die Figur des Gekreuzigten am hölzernen Triumphkreuz erhalten geblieben. Diese Figur gehört mit zu den herausragenden Werken spätromanischer Christusdarstellungen. Dass die Kirche eng mit der Klosterkirche in Jerichow verwandt ist, zeigt sich u. a. auch an den Trapezkapitellen der Rundpfeiler der Seitenschiffe.
Finden Sie Unterschiede in den beiden Fotos?



Mind. 3 Unterschiede!
Der Taufengel stammt aus der Zeit des Barock, ebenso wie die einmanualige Schleifladenorgel (1766) vom Orgelbaumeister Gottlieb Scholtze. Seit 1562 sind Dorf und Kirche mit der Adelsfamilie von Bismarck verbunden. Otto von Bismarck wurde 1815 hier im Schönhauser Gutshaus (Schloss) geboren. Das Gutshaus existiert zwar nicht mehr, doch im erhalten gebliebenen Nebengebäude befindet sich seit 1998 ein kleines Bismarck-Museum. Von der Kirche sind es nur wenige Schritte zum Museum und bis in die Parkanlagen.
Auf der Informationstafel zur Straße der Romanik werden die wichtigsten Daten zur Kirche zusammengefasst:
Informationstafel: Dorfkirche Schönhausen

1202 | Der Ort wird im Verzeichnis der bischöflich- |
havelbergischen Tafelgüter erstmals erwähnt. | |
Flämische Siedler bilden mit den einheimi- | |
schen Slawen eine Mischbevölkerung. | |
um1200 | Die Dorfkirche wird nach dem Vorbild der |
-1210 | Klosterkirche Jerichow erbaut. |
1212 | Bischof Segebode von Havelberg vollzieht |
die Kirchweihe zu Ehren des hl. Willebrord. | |
um1540 | Im Zuge der Reformation wird die Kirche |
evangelisch. | |
1562 | Die altmärkische Adelsfamilie von Bismarck |
erwirbt Schönhausen vom Kurfürsten Joachim II. | |
von Brandenburg im Tausch gegen andere Güter. | |
1665/1712 | Nach Schäden im Dreißigjährigen Krieg erfolgt |
die barocke Erneuerung der Kirche. | |
1815 | Otto von Bismarck (1815-1898) wird in der |
Dorfkirche getauft. |
Die Dorfkirche Schönhausen gehört mit ihren klaren Formen und den sorgfältig ausgeführten Gliederungselementen zu den bedeutendsten Bauten der Romanik in der Altmark. Aus der Bauzeit stammt der Taufstein und das Triumphkreuz, ein Hauptwerk spätromanischer Plastik.
Im Seitenflügel des ansonsten gesprengten Schlosses ist seit 1998 ein Bismarck-Museum eingerichtet.
Auf der Informationstafel kann man außerdem noch (in Englisch) lesen:
Village church of S Mary and St Willebrord: The three-aisled basilica was consecreated in 1212. In 1815 Count Otto von Bismarck was baptized here. The wooden cruzifix of 1235 is worth seeing. The church is considered to be the most significant successor building to the monastery church of Jerichow. The building particularly impresses many visitors by its size which is rather unusual for a village church. The Bismarck-Museum is in the building next to the church.
Village church of S Mary and St Willebrord: The three-aisled basilica was consecreated in 1212. In 1815 Count Otto von Bismarck was baptized here. The wooden cruzifix of 1235 is worth seeing. The church is considered to be the most significant successor building to the monastery church of Jerichow. The building particularly impresses many visitors by its size which is rather unusual for a village church. The Bismarck-Museum is in the building next to the church.
Wir fahren ein paar Kilometer nach Norden und landen in Sandau:
Die Stadtkirche/Pfarrkirche St. Laurentius und St. Nikolaus in Sandau


Die Baugestalt der romanischen Stadtkirche in Sandau (1200/1250?) ist aufs Engste verwandt mit der Dorfkirche in Schönhausen. Ihre Grundrisse stimmen praktisch überein (s. u.). Die Kirche in Sandau ist ebenfalls eine dreischiffige Langhausbasilika (also ohne Querschiff) mit längsrechteckigem Chor und flachbogiger Apsis. Die schmalen Seitenschiffe enden in kleinen in der Mauerstärke angelegten Nebenapsiden, die von außen nicht in Erscheinung treten. An den Chorseiten befinden sich Anbauten, wobei der südliche Anbau mit aufwändig gestalteten Fenster versehen ist.
Die Apsis wird durch Halbrundstäbe in drei Wandbereiche gegliedert in denen sich je ein Rundfenster befindet. Das mittlere Fenster wird dabei durch einen eingestellten Rundstab bzw. mit der Wulst im Bogen als dessen Fortsetzung extra hervorgehoben.

Westseite des Turms

Südseite des Turms
Apsis, Chor und Langhaus werden durch Kreuzbogenfriese und darüberliegendem dt. Band geschmückt. Im Westen ragt der massive Westquerturm in der Breite (ca. 18 Meter) über die Seitenschiffe hinaus. Der Turm ist am 13. April 1945 durch amerikanischen Artilleriebeschuss stark beschädigt worden, sodass er einstürzte. Bis 1998 stand die Turmruine als ein Mahnmal gegen den Krieg, doch in einer Umfrage (1995) sprachen sich 80% der Befragten für den Wiederaufbau aus. Nach Schuttberäumung, Diskussionen über die Art und Weise des Wiederaufbaus und der Planungsphase erfolgte schließlich im Jahr 2002 mit der Grundsteinlegung der Startschuss für den Wiederaufbau in den alten Formen. 2013 war es dann soweit - die Sandauer Kirche hatte ihren Turm wieder! Deutlich sind heute altes und neues Mauerwerk zu unterscheiden.
Man kann das Kircheninnere jetzt wieder durch das neugestaltete Westportal betreten. Das aufwändige Portal befindet sich in einer rechteckigen Wandvorlage. Es ist zweifach gestuft und enthält in jeder Gewändestufe eine Dreiviertelsäule, die sich in den Archivolten fortsetzt.

Im Innern beeindruckt die großzügige Weite der flachgedeckten Basilika und man fühlt sich - auch infolge des unverputzten roten Backsteinmauerwerks - direkt an die Klosterkirche Jerichow erinnert. Dazu tragen nicht zuletzt auch die Trapezkapitelle der Rundpfeiler bei.
Sie werden überrascht sein!
Sie werden überrascht sein!
In der Kirche finden oft Kulturveranstaltungen und Ausstellungen statt. Die Pfarrkirche St. Laurentius und St. Nikolaus ist eine Station auf der Straße der Romanik und als offene Kirche unbedingt einen Stopp auf der Reise wert.
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Bleiben noch die beiden Grundrisse der Kirchen in Schönhausen und Sandau nachzutragen:
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Literatur:
/1/ F. Adler, Mittelalterliche Backstein-Bauwerke des Preußischen Staates, Bd. 1, Berlin 1862, Digitalisat: Univ. Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/adler1862bd1/0151
/2/ F. Adler, Mittelalterliche Backstein-Bauwerke des Preußischen Staates, Bd. 2, Berlin 1898, Digitalisat: Univ. Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/adler1898bd2/0023
/3/ Rolf Naumann, Romanische Backsteinkirchen im Jerichower Land, Perleberg 1993
--------/1/ F. Adler, Mittelalterliche Backstein-Bauwerke des Preußischen Staates, Bd. 1, Berlin 1862, Digitalisat: Univ. Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/adler1862bd1/0151
/2/ F. Adler, Mittelalterliche Backstein-Bauwerke des Preußischen Staates, Bd. 2, Berlin 1898, Digitalisat: Univ. Heidelberg, http://digi.ub.uni-heidelberg.de/diglit/adler1898bd2/0023
/3/ Rolf Naumann, Romanische Backsteinkirchen im Jerichower Land, Perleberg 1993
Die Ausflüge ins Jerichower Land und allgemein zur Backsteinarchitektur werden fortgesetzt.
Jetzt geht es weiter zur "Wunderblutkirche" nach Bad Wilsnack.

zur "Wunderblutirche" nach Bad Wilsnack